A Terabyte of Life

Damals beschritt James Cameron mit Filmen wie Terminator ein neues Terrain. Ein zentrales Computersystem namens Skynet ist das Gehirn, welches seine Maschinen versklavt, steuert und kontrolliert. In der Matrix-Trilogie von den Wachowski-Brüdern wird unserem Hirn eine heile, aber tatsächlich unreale Welt vorgekault. Die Realität sieht in dem Film anders aus. Maschinen regieren den Planeten und nehmen die menschlichen Organismen als Energiequelle. Utopie? Metapher oder Zynismus? Irgendwie trifft alles auf unsere heutige Zeit zu. Wir denken zu wissen, wer über was entscheidet. Doch sind wir schon längst unterwandert und können nicht mehr ohne.

Der Smartphone-Wecker meiner Freundin klingelt. Die Augen sind noch nicht ganz offen und das erste Licht was man sieht, ist nicht das der Sonne. Es ist das Kunstlicht unserer Smartphones. Wir checken E-Mails, Nachrichten oder das Social-Media-Life ab. Stehen seit Beginn des Tages unter Strom, wie all unsere Devices, die genauso hungrig nach Energie und Daten sind, wie wir nach Wissen und Selbstbestätigung im Alltag & Internet. Scheinwelt & Realwelt. Ich google nach neuen Radtouren. Schon hier setze ich meiner Spontanität Grenzen. Ich will nicht ins Ungewisse fahren. Ich brauche Streckenlänge, -profil, -zeit, -beschaffenheit und Rezensionen dazu. Ich will mir sicher sein, dass es gut wird. Alles im Leben soll perfekt sein. Perfektionismus und Idealismus prägen unsere Zeit. Fehler werden als Zeichen der Ahnungslosigkeit oder Schwäche abgetan. Man lernt nicht aus Fehlern, sondern lernt, um Fehler zu vermeiden. Ich lade mir die .GPX-Datei auf mein Navigationssystem. Ich schaue im Internet nach, wie das Wetter wird und sehe, dass es in voraussichtlich zwei Stunden regnen soll. Ich habe 50.000 Meter vor mir. Innerlich setze ich mich dem Stress aus, ob ich mich beeilen soll und die Regenjacke zu Hause lasse oder extra noch einen Rucksack mitnehme, der mit dann an meinem schwitzenden Rücken klebt. Ich entscheide mich dafür den Rucksack zu Hause zu lassen. Nach 2:30h komme ich völlig durchnässt und fluchend von der Tour wieder. Sturm war nicht angesagt und auch sonst hat es schon früher angefangen zu regnen. Die Strecke wurde von anderen Usern zwar für gut befunden, aber die haben anscheinend alle ein Mountain-Bike. Ich habe auf der Tour 3 Mal die Kette neu aufgezogen. Verdammte Wettervorhersage! Für was werden Die eigentlich bezahlt? 

Frustriert pelle ich mich aus den nassen Sachen und gehe duschen. Das Kettenöl bleibt mir noch ein paare Tage an den Händen erhalten. Ich schaue nochmal, nachdem ich in trockene, frische Sachen geschlüpft bin, auf der Internetseite nach und will mit einem Kommentar protestieren. Schreibe fast eine Seite, lese es mir durch und will gerade auf absenden drücken. Dann sehe ich ein Symbol, das mir zeigt, dass die Strecke tatsächlich nur für Mountain-Bike ausgewiesen ist. Ich hatte bei meiner Suche alle Fahrradtypen angegeben. Es ist meine eigene Schuld gewesen. Das nächste Mal passe ich gefälligst besser auf; sage ich mir. Trotzdem lade ich meine Aufzeichnung hoch, um zeigen wie sportlich ich bin. Einmal als Selbstbestätigung für mich und um andere zu motivieren. Natürlich will ich andere nicht motivieren, sondern ein schlechtes Gewissen machen, weil sie zu der Zeit nicht so sportlich waren. Für was gibt es sonst Schrittzähler oder Pulsbänder? Nicht etwa, um seine eigene Leistung zu wertschätzen, sondern um den Gegenüber zu demütigen. Ich sehe auf Endomondo, wie Frank heute 20km mehr gefahren ist. Er hat sogar 23 Likes und 3 Kommentare darunter bekommen. Bei mir tut sich gar nichts. Bin ich zu wenig gefahren? Warum wird er für 70km so gefeiert? Angefressen gehe ich zum Kühlschrank. Der zeigt mir seine gähnende Leere. Geh ich jetzt noch zu Rewe um die Ecke oder bestelle ich mir was über Lieferando? Ich bin zu faul, um mich für eine Pizza aufzuragen und 300m zum Rewe zu gehen. Ich bestelle mir was. Natürlich Pizza, denn darauf habe ich jetzt Bock. Der Laden ist laut Lieferando nur 1,7km weg. Die Pizza sollte also schnellstens da sein. Ich habe super Hunger. Nach der Bestellbestätigung bekomme ich die Information, dass die Pizza in 55 Minuten geliefert wird. Was zur Hölle? In der Zeit habe ich eine Pizza selber produziert. Nach 30 Minuten halte ich es nicht mehr länger aus und mache mir eine große Schüssel Cornflakes mit Milch 3,8%. Nachdem ich aufgegessen habe, kommt nach 40 Minuten der Pizzabote. Er ist völlig durchnässt und hofft auf Trinkgeld. Ich gebe ihm nicht, denn das Ganze hat mir zu lange gedauert und sowieso habe ich keinen Hunger mehr. Am liebsten würde ich ihn mit der Pizza zurückschicken. Ich nehme die Pizza ab und wünsche noch einen ironisch, schönen Abend. Immer noch frustriert schiebe ich mir die Pizza mit extra Käse rein. Frisch zur Prime-Time von The Biggest Loser. Ich frage mich, ob der größte Verlierer gerade im Fernsehen ist oder auf der Couch die ganze Pizza aufgegessen hat, obwohl er nach der Hälfte schon satt war. Kurz darauf bekomme ich eine E-Mail von Lieferando. Ich bekomme bei der nächsten Bestellung 5€. 

 

 

Am nächsten Tag beginnt meine Schicht als Fahrradkurier bei Deliveroo. Es regnet immer noch. Ich beeile mich & komme überdurchschnittlich schnell beim Kunden an. Ich gehe heute ohne Trinkgeld nach Hause. Mir steht wohl noch die schlechte Laune vom Vortag ins Gesicht geschrieben.

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